Das Thema „Abtreibung“ ist gerade durch die Diskussion um den Paragraf 218 medial wieder stärker präsent. Geht es bei dem Thema um Leben und Tod? Stirbt bei der Abtreibung ein Mensch? Ist Abtreibung ein Frauen- oder gar Menschenrecht? Sind Gesetze zum Schutze des ungeborenen Lebens diskriminierend?
Dies sind sehr ernste Fragen, die sich ein Mensch und erst recht ein Christ stellen muss. Die Thematik ist sehr komplex – ich versuche dies möglichst kurz auf das Wesentliche zu beschränken und habe dabei meine Stellungnahme auf drei Bereiche aufgeteilt, die ich hier aufführe:
- Christliche Aspekte
Der Kern unseres christlichen Glaubens ist der Glaube an Jesus Christus, den Sohn des lebendigen Gottes, wahrer Gott und wahrer Mensch, der unter uns gelebt hat, der durch seinen Tod am Kreuze uns erlöst und uns so ermöglicht hat, dass auch wir in das Reich seines Vaters kommen können. Wir bekennen als Christen „Empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria“. Dies macht uns Christen deutlich: Das Leben beginnt vom Zeitpunkt der Empfängnis und es ist von Anfang an geheiligt, da Gott den Menschen im Moment der Empfängnis beseelt. Lesen wir dazu auch im Evangelium des Evangelisten und Arztes Lukas (Lk 1,26 – 56). Bei der Begegnung der beiden schwangeren Frauen Maria und Elisabeth spricht Elisabeth das aus, was wir immer im Ave Maria beten: „Gesegnet bis du mehr als alle anderen Frauen und gesegnet ist die Frucht deines Leibes.“ (Lk 1,42). „In dem Augenblick, als ich deinen Gruß hörte, hüpfte das Kinde vor Freude in meinem Leib.“ (Lk 1,44).
So klein und hilflos hat Gott sich gemacht, als er durch die Empfängnis im Schoß der Jungfrau Maria Mensch wurde. Gott ist Allmächtig – hätte er nicht einen anderen Weg wählen können? Ich glaube, dass Gott uns durch diesen Weg auch drei Aspekte zeigen wollte: Erstens: Das Leben ist vom Anfang an Heilig. Zweitens: Leiden ist nicht sinnlos, denn Christus ist für uns geboren und hat für uns gelitten, um uns zu erlösen. Drittens: Die Liebe Gottes zu den Menschen ist hier das Maß aller Dinge, denn anders ist das Erlösungswerk Gottes nicht zu erklären, der unser letztlich nicht bedarf. Diese drei Aspekte sollten wir als Christen immer erwägen, wenn es um das Thema Abtreibung geht.
- Biologische Aspekte
Für Menschen, die nicht an Jesus Christus glauben, dürften die aufgeführten christlichen Aspekte kaum eine Rolle spielen. Dennoch hat das Gebot „Du sollst nicht töten“ bezogen auf Menschen durchaus auch für Nichtchristen ihre Gültigkeit, zumal es in vielen Gesetzgebungen fest verankert ist. Das Kind im Mutterleib wird je nach Entwicklungsstadium Embryo oder Fötus genannt. Es werden aber auch Begriffe wie Schwangerschaftsgewebe oder „Werdender Mensch“ verwendet, bei dem man sich natürlich die Frage stellt, ob es sich den bei dem Kind im Mutterleib überhaupt schon um einen Menschen handelt?
Mit der Befruchtung der Eizelle im Mutterleib beginnt dort neues Leben – doch warum soll diese befruchtete Eizelle von ca. 0,15 mm Größe ein Mensch sein? Es muss sich doch noch alles entwickeln! Nun weil mit dieser befruchteten Eizelle eine neue DNA entstanden ist – eine vollständige Neukombination aus dem Erbgut der Eltern. Hier ist schon alles enthalten, wie der Mensch wird: Sein Geschlecht, wie groß er wird, welche Augenfarbe er haben wird, wie seine charakterliche Veranlagung sein wird. Der fertige Bauplan also oder der „Source Code“ des Menschen, in dem alle Details enthalten sind für ein Individuum wie es kein zweites unter den Milliarden von Menschen auf diesen Planeten gibt oder geben wird. Einmalig und nicht wiederholbar. Und so wächst und entwickelt sich der Mensch im Mutterleib und die Entwicklung ist ja nicht mit der Geburt abgeschlossen. Auch das geborene Baby kann nicht ohne Hilfe und Zuneigung leben – wäre es dadurch weniger Mensch? Wäre es nicht kühl und grausam, wenn wir nur danach entscheiden, ob man ganz Mensch ist, indem wir bewerten, was bereits entwickelt ist oder wie selbstständig der Mensch (noch) agieren kann? Das Individuum ist Mensch von der Zeugung bis zu seinem letzten Atemzug. Überall dort, wo wir in dieser Lebensspanne des Menschen eingreifen, kommt es der Bereitschaft gleich, menschliches Leben zu töten.
- Gesellschaftliche Aspekte
Selbst wenn aus biologischer Sicht klar sein sollte, dass der Mensch von der Zeugung bis zum natürlichen Tod Mensch ist, so kann man doch die Frage stellen, wie schützenswert ist der Mensch überhaupt? Man könnte Tiere für schützenwerter halten, da Menschen in der Lage sind, schlimmere Dinge zu tun und mehr Schaden anzurichten. Man könnte leidende Menschen den Schutz entziehen, in der Überzeugung diesen Menschen das Leid zu ersparen. Man könnte dem Menschen im Mutterleib den Schutz entziehen, um der Mutter freie Verfügungsgewalt über ihr Kind zu geben. Man könnte behinderte Menschen den Schutz entziehen, um die Gesellschaft zu entlasten. Merken Sie, in welcher Richtung es geht, wenn man im Beginn mit scheinbar guten Absichten und Argumenten die Schutzwürdigkeit des Menschen einschränkt?
Ich möchte hier drei Zitate zu diesem Aspekt einbringen:
„Man erkennt den Wert einer Gesellschaft daran, wie sie mit den schwächsten ihrer Glieder verfährt.“
Gustav Heinemann (*1899, +1976, Bundespräsident von 1969 – 1974)
„Der größte Zerstörer des Friedens ist heute der Schrei des unschuldigen, ungeborenen Kindes.“
Mutter Teresa (*1910, +1997) bei der Verleihung des Friedensnobelpreises 1979
„Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“
Jesus von Nazaret (*7/4 v. Chr., +30/33) nach Mt 25,40
Diese drei Zitate von Christen haben für die ganze Gesellschaft Gültigkeit, da diese darauf hinweisen, dass der Dienst an die schwachen und hilflosen wichtig für die ganze Gesellschaft ist. Warum? Wenn wir heute beklagen, dass der Umgang in der Gesellschaft immer grober und herzloser wird, die Kriege immer mehr und schlimmer werden, und der Egoismus und Hedonismus immer mehr wächst, dann ist es ein klares Zeichen dafür, dass das Böse sich ausbreitet.
Was ist das Böse? Im Prinzip ist es ein Mangel an Liebe, so wie das Dunkel ein Mangel an Licht ist. Liebe ist, wenn man dem Anderen selbstlos gutes will. Und je größer die Selbstlosigkeit, desto größer die Liebe. Das heißt, der unsympathische und unfreundliche Mensch in unserer Umgebung braucht unsere Liebe, indem wir ihm gegenüber freundlich und hilfsbereit sind. Der leidende Mensch braucht unsere Liebe, indem wir ihm Zeit und Nähe geben. Der behinderte Mensch braucht unsere Liebe, indem wir ihm Unterstützung und Hilfe geben. Das Kind im Mutterleib braucht unsere Liebe, indem wir als Mutter und Vater unser „ja“ zu ihm sprechen, trotz aller Herausforderungen, die dies zur Konsequenz haben wird. Und je größer die Herausforderungen sind, desto größer wird unsere Selbstlosigkeit, ja unsere Liebe sein, die wir „investieren“. Und dieses investieren an Liebe ist es, dass der ganzen Gesellschaft zugutekommt.
„Geben ist seliger als Nehmen“ ist nicht nur ein Sprichwort, sondern eine Wahrheit, die sich immer mehr in unserer Wohlstandsgesellschaft zeigt: Wir haben mehr als je zuvor und sind doch unglücklicher als je zuvor. Wir haben die christlichen Überzeugungen über Bord geworfen und sind falschen Idealen auf dem Leim gegangen und spüren jetzt die Konsequenzen: Sorgen, Unsicherheiten, Ängste und zunehmende Einsamkeit prägen unseren Alltag. Wenn wir das Miteinander in unserer Gesellschaft wieder zum Guten führen wollen, dann muss es mit einem bedingungslosen „Ja“ zum Menschen beginnen.